Monat: April 2017

„Wien um 1900 ist einer der interessantesten historischen Schauplätze für einen Roman.” Edith Kneifl im Gespräch

Edith Kneifl erweckt in ihrer Krimiserie um den charmanten Privatdetektiv Gustav von Karoly das Wien des Fin de Siècle zum Leben und lässt in der historischen Kaiserstadt die Puppen tanzen.
Ein Gespräch

Deine Serie um Privatdetektiv Gustav von Karoly spielt im historischen Wien, genauer gesagt im Wien der Jahrhundertwende. Inwiefern ist das Wien des Fin de Siècle die perfekte Krimikulisse?

Wien um 1900 ist für mich politisch und kulturell einer der interessantesten historischen Schauplätze für einen Roman.

Die industrielle Revolution und das neue Selbstbewusstsein des wohlhabenden Bürgertums seit 1848 – die Fabrikbesitzer waren meist keine Adeligen, sondern Großbürger, der sogenannte Geldadel –, führten zu einem unerhörten Aufschwung in wissenschaftlichen, technischen und, damit einhergehend, auch in künstlerischen Bereichen. Vor allem die Nationalitätenkonflikte in dieser Zeit und die Fortschrittsverlierer, die Obdachlosen, die Arbeiterinnen und Arbeiter, die vielen Zuwanderer aus den ärmlichen Kronländern, bildeten den Gegenpol zum Glanz des Bürgertums und dem gleichzeitigen Niedergang des Adels. Dieses Spannungsverhältnis aus dem, sehr vereinfacht ausgedrückt, letztendlich der Zerfall der alten Monarchien Europas nach dem Ersten Weltkrieg resultierte, hat mich immer fasziniert.

In meinen historischen Kriminalromanen ist zwar auch Platz für Glanz und Glorie, für Bälle und große Gelage in feudalen Ringstraßenpalais oder für Schönbrunn, die Hofburg und die Wiener Oper, aber interessanter finde ich die Kapitel, in denen ich mich mit der Verlogenheit und der Doppelmoral der damaligen gutbürgerlichen und adeligen Gesellschaft und mit den grauenhaften Lebensbedingungen der ärmeren Bevölkerung auseinandersetze, zum Beispiel mit dem Subproletariat und den Kriminellen im Prater in „Der Tod fährt Riesenrad“ oder eben mit den vielen Migranten aus den Kronländern in „Totentanz im Stephansdom“. Dabei ging es mir vor allem um die jungen Frauen und Mädchen, die aus diesen armen Ländern nach Wien verschleppt wurden. Miese Schlepper gab es schon damals!

Die Bücher sind hervorragend recherchiert, es mischen sich reale Geschehnisse mit Krimihandlung – wie bist du vorgegangen?

Ich habe immer viel gelesen – und Lesen bildet eben. Im Ernst, ich habe mich sogar in meiner Schulzeit für Geschichte begeistert. Die Jahrhundertwende hat mich auch während meiner beinahe zehn Jahre währenden Ausbildung zur Psychoanalytikerin beschäftigt. Freud und Schnitzler, Klimt und Johann Strauss, die großen Fortschritte in den Naturwissenschaften und vor allem die damals immer stärker werdende Arbeiterbewegung finde ich unerhört spannend und wichtig. Ich habe also während der Arbeit an diesen Romanen viele Bücher über Zeit und Leute gelesen und eben so manches in die Krimihandlung eingebaut.

Übrigens bekomme ich von jungen Lehrerinnen und Lehrern Komplimente. Sie meinen, auf diese Art könnte man die Schüler sehr wohl für den Geschichtsunterricht begeistern. Tja, mal sehen, vielleicht werden demnächst einige Mittelschüler oder Gymnasiasten meine historischen Krimis lesen? Ich würde mich freuen!

Wien ist ja für seine Morbidität bekannt. Wie ist dein Gefühl, hat der Wiener bzw. hat die Wienerin einen besonderen Zugang zum Düsteren, eine eigene Beziehung zur Sterblichkeit?

Ja, „der Tod muss ein Wiener sein“ (Georg Kreisler). Sicherlich hängt die vielzitierte Morbidität der Wiener mit dem Zusammenbruch der Monarchie zusammen. Dieser Zusammenhang wurde bereits oft analysiert. Ich glaube übrigens nicht, dass die heutige Wiener Bevölkerung so besonders morbid ist. Wahrscheinlich hat das eher auf die Nachkriegsgenerationen zugetroffen, sowohl auf die Überlebenden des Ersten als auch des Zweiten Weltkrieges. Reste dieses Hangs zur Morbidität finden sich sicherlich bis heute bei den Wiener Intellektuellen. Eine besondere Beziehung zum Tod haben aber auch andere Völker und Kulturen.

Gustav von Karoly ist ja ein besonders charmanter Charakter, dem die Frauen reihenweise verfallen. Kannst du ihn uns kurz vorstellen? 

Mit Gustav von Karoly hat ein äußerst charmanter und liebenswerter Mann die Bühne der Kriminalliteratur betreten. Ehrlich gesagt habe ich mir eine Art Traummann erschaffen. Gustav entspricht auch äußerlich dem Typ von Mann, für den ich immer anfällig war und bis heute bin: groß, schlank, schwarzhaarig, ebenmäßige Züge … Aber so sehen viele Männer aus. Das Anziehende an Gustav sind für mich seine Sensibilität und seine Schwächen. Einerseits ist er ja durchaus ein mutiger Mann, aber er gesteht sich eben auch seine Ängste ein und handelt entsprechend. Außerdem ist er klug und hat Humor. Und vor allem benimmt er sich meistens rücksichtsvoll und hat viel Verständnis für Frauen, kann gut zuhören und nimmt ihre Probleme und Ratschläge ernst. Solche Männer gibt es auch in der Realität, aber sie sind eher eine Rarität.

Starke Frauen spielen ebenfalls eine Rolle in deinen Büchern, was, gerade vor der Kulisse der Donaumonarchie, sehr spannend ist. Inwiefern war dir das wichtig?

Die starken Frauen in meinen historischen Kriminalromanen sind mir ebenso wichtig wie der schöne Gustav von Karoly. Im Grunde geht es mir in allen meinen Romanen immer um Aufbruchs- oder Ausbruchsversuche von Frauen. Das Genre des historischen Krimis erlaubt es mir, die Anfänge dieser ersten wichtigen Frauenbewegung in unserem Land zu beschreiben. Diese Frauen um die Jahrhundertwende haben für uns nicht nur das Wahlrecht, sondern auch den Zugang zu höherer Bildung erkämpft und damit unsere heutigen Karrieren ermöglicht.

Ohne Gustavs Tante Vera und seine große Liebe, die zukünftige Ärztin Dorothea, oder die Erzieherin Clara in „Totentanz im Stephansdom“, wären wir Frauen heute noch „Besitz“ unserer Väter oder Ehemänner und würden, falls wir aus armen Verhältnissen stammten, unser Leben als Dienstbotinnen, schlecht bezahlte Fabrikarbeiterinnen oder Prostituierte fristen. Auch das ist ein wichtiges Thema in all meinen historischen Krimis.
Die emotionalen Probleme, die Frauen damals um die Jahrhundertwende hatten, sind den Problemen heutiger Frauen nicht so unähnlich, wie man vielleicht denkt. Um sie zu beschreiben, brauche ich keine Recherchen durchzuführen, die kenne ich genauso gut wie jede andere Frau.

Zu guter Letzt (und nicht zuletzt, weil der neue Krimi „Der Tod liebt die Oper“ an der Staatsoper spielt): Welche Melodie dürfen sich deine LeserInnen in den Hintergrund denken, wenn sie vor ihrem inneren Auge Gustav durch Wien flanieren sehen?

Ich würde empfehlen, die beiden Verdi-Opern „La Traviata“ und „Rigoletto“ beim Lesen meines neuen historischen Krimis „Der Tod liebt die Oper“ im Ohr zu haben. Den Idioten „Otello“ sollten wir Frauen lieber vergessen.
Vor allem empfehle ich die Arien: „Lunge da lei“ („Entfernt von ihr gibt’s kein Glück für mich“) von Alfredo aus „La Traviata“ sowie die Schmerz-Arie aus dieser Oper: „Cessarono gli spasmi del dolore“, gesungen von Violetta.
Die wohl berühmteste Arie der Welt, „La donna è mobile“, des Herzogs von Mantua aus „Rigoletto“ würde ich ebenfalls den Opernliebhaberinnen und -liebhabern unter meinen Leserinnen und Lesern bei der Lektüre dieses Krimis ans Herz legen. Mir kommen dabei immer die Tränen, obwohl dieser Herzog ja ein fürchterlicher Womanizer war und den Tod verdient hätte.

Letzter Fasching – Herbert Dutzler interviewt Herbert Dutzler

Herbert Dutzler interviewt Herbert Dutzler. Foto (c) Gisela Barrett.

Die fünfte Jahreszeit im beschaulichen Ausseerland ist für manch einen auch die letzte: Unter dem farbenprächtigen Ornat der Flinserl und hinter den Masken der Trommelweiber verbirgt sich mitten im ausgelassenen Faschingstreiben das Böse.

Herbert Dutzler beleuchtet die dunkle Seite der Faschingsbräuche und bringt die bedrohliche Wahrheit ans Licht: über Lederhosen, Faschingsbriefe und Touristenshows. 

Ein Gastbeitrag von Herbert Dutzler

***

Ein Autor interviewt sich selbst und beantwortet endlich die brennendsten Fragen, die ihm schon lange gestellt hätten werden müssen.

Herr Dutzler, ist denn der Fasching ein geeigneter Hintergrund für ein blutrünstiges Krimidrama?

Der beste, den man sich denken kann. Jeder versteckt sich hinter einer Maske, keiner ist der oder die, die er zu sein scheint, Täter wie Opfer tauchen in der Masse der Verkleideten unter. Sehr dramatisch.

Aber im Fasching ist’s doch eigentlich lustig?

Keineswegs. Der Fasching ist eher bedrohlich. Hören Sie sich einmal den Ausseer Faschingsmarsch an. Also mir gefriert da das Blut in den Adern. Dazu noch die starren, höhnisch grinsenden Masken … also nein. Nicht lustig!

 Aber … die Erwartungshaltung … jeder erhofft sich doch, dass es lustig wird …?

Für diesen Fall ist der Krimi dann das unübertreffliche Kontrastprogramm. Der lustige Clown wirkt blutüberströmt doch noch viel dramatischer. Ganz zu schweigen von den vielfältigen historischen Figuren des Ausseer Fasching – stellen Sie sich ein Flinserl vor, das im Schein der untergehenden Sonne in einer Schlinge vom Dachbodenbalken baumelt … und die Pailletten glitzern um die Wette … unübertrefflich!

Wie gehen Sie denn bei der Recherche vor? Müssen Sie da nicht selber mitmachen? Als Trommelweib den Schlegel schwingen? Als Flinserl Nüsse in die Menge schmeißen?

Der Autor, sehr verehrter Herr Reporter, ist immer ein Außenseiter. Ein Beobachter. Er gehört nie richtig dazu, sondern drückt sich an den Rändern des Geschehens herum. Will unerkannt bleiben. Hört und sieht zu. Saugt auf. Fotografiert und filmt, meinetwegen. Ein Voyeur. Niemals aber darf er ein sogenannter Insider sein.

Aber … die Authentizität … die Realität …?

Reden wir nicht über die Realität, gar über die Wahrheit. Das sind sowieso schwammige Begriffe, die jeder anders interpretiert. Wissen Sie, der Insider, der kann bestenfalls ein Sachbuch schreiben. Die Dinge, die Personen beim Namen nennen. Es wäre den handelnden Personen gegenüber durchaus respektlos, wollte man sie in einem Roman so abbilden, dass jeder sie erkennt. Denn sie wären ja ganz andere als die, deren Namen oder Gesichtszüge sie tragen, Geschöpfe des Autors, ja sogar, im schlimmsten Fall, Opfer seines Missbrauchs.

Aber schreiben Sie denn jetzt über das Ausseerland, oder nicht? Die Schauplätze, die gibt’s doch alle, oder nicht?

Kennen Sie Krippen, Herr Reporter? Kastenkrippen? Da haben die Krippenbauer versucht, Jerusalem nachzubauen. Und immer hat es so ausgesehen, wie sich der Krippenbauer die Heilige Stadt vorgestellt hat. Und, natürlich, jedes Mal sieht sie ein bisschen anders aus. Na ja, und daher sieht halt mein Ausseerland so aus, wie Sie es in meinem neuen Buch lesen können. Viele werden es wiedererkennen, ja sich sogar damit identifizieren können. Manche nicht. Das sechste, übrigens.

Wie jetzt …?

Buch. Das sechste Buch. Der sechste Fall des Inspektor Gasperlmaier. Und der Frau Doktor Kohlross.

Jetzt erscheint Ihr Buch über den Fasching gerade (lacht) zu Ostern. Was haben Sie sich denn dabei gedacht?

Sehen Sie, Herr Reporter, da setzte ich mich mitten im Hochsommer auf meine Terrasse und schreibe ein Buch, das an einem eiskalten Wintermorgen beginnt, an dem der Schnee waagrecht vor dem Fenster vorbeitreibt. Glauben Sie, das ist einfach? Und dann kommen Sie daher und wollen pünktlich zur passenden Jahreszeit einen Kriminalroman geliefert haben. Es gab nur zwei Möglichkeiten – jetzt oder erst im nächsten Fasching. Da brauche ich keine Leserbefragung, um herauszufinden, was gescheiter ist.

„Ich habe mir das Recht, eine Ausseer Lederhose zu tragen, dadurch erworben, dass ich zwei Monate lang die Volksschule in Bad Aussee besucht habe und mich dort regelmäßig in der Pause von den Mitschülern verprügeln habe lassen.”

Sie haben die Leserinnen vergessen.

Leserinnen- und Leserbefragung, sie Klugscheißer.

Tragen Sie eigentlich selber auch eine Lederhose? Sie kommt ja in ihren Büchern immer wieder vor.

Selbstverständlich. Ich habe mir das Recht, eine Ausseer Lederhose zu tragen, dadurch erworben, dass ich zwei Monate lang die Volksschule in Bad Aussee besucht habe und mich dort regelmäßig in der Pause von den Mitschülern verprügeln habe lassen. Das gehörte damals zum lokalen Brauchtum und war nie böse gemeint. Es war nicht dieses Mobbing, von dem heute so oft die Rede ist, sondern eher sportlich. Fast schon fair.

Brutal.

Nachhaltig.

Der Fasching, das ganze Brauchtum im Salzkammergut, ist das nicht auch nur mehr eine billige Show für die Touristen? Hängen Sie sich da nicht einfach an einen Trend an? Sozusagen, die Kuh zu melken, solange sie …

Jetzt machen Sie aber einen Punkt! Erstens kann ich gar keine Kühe melken. Und wenn wir schon bei diesem Bild bleiben wollen, dann melke ich mich selber. Denn ich kann nur das formulieren, nur das aufschreiben, was in mir drin ist und heraus will. Heraus muss. Abgezapft wird. Das ist ein überaus mühevoller Prozess. Und was die billige Show betrifft: So, wie ich das sehe, machen die Ausseer ihren Fasching für sich selbst. Die brauchen die Touristen gar nicht dazu. Ich sehe da keine kommerziellen Untertöne mitschwingen. Und die Touristen, die können zuschauen. Mitmachen brauchen sie nicht. Im Ausseerland hält man’s mit der Devise „Seid’s froh, dass ihr da sein dürft“. Und das finde ich gut so. Zeugt von Selbstbewusstsein.

In ihrem Buch kommen ja auch die berühmten Faschingsbriefe vor …

Einzigartig. Sie haben sich ja aus dem einfachen Vorlesen von gereimten Briefen mit Musikbegleitung zu kabarettistischen Shows weiterentwickelt, diese Faschingsbriefe. Inhaltlich konzentriert man sich – was ich sehr vernünftig finde und auch der Tradition entspricht – auf Ereignisse regionaler Bedeutung. Und eines sage ich Ihnen: Ich habe Faschingsbriefe gesehen, die könnten sie eins zu eins  – ohne Schnitt – ins Fernsehprogramm übernehmen. Denn die sind um ein Vielfaches besser als das, was da aus dem österreichischen Süden so gesendet wird. Sie klingen mir eh so ein bisschen … wo kommen’s denn her, Herr Reporter?

Äh … herzlichen Dank für das ausführliche Gespräch.

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Herbert Dutzler: Letzter Fasching

Heiß ersehnt, lang erwartet: der sechste Fall von Kultinspektor Gasperlmaier!

Wenn ihr neugierig geworden seid, taucht jetzt ein ins mörderische Maskentreiben im malerischen Bad Aussee!

Auch der neueste Fall des sympathischen Inspektors Franz Gasperlmaier bietet alles, was das Krimiherz begehrt: eine mächtige Portion Spannung und ein liebenswürdiger Ermittler, der mit dörflicher Gemütlichkeit und einer gehörigen Prise Humor die Mörder quer durch das schöne Ausserland jagt!